Otto Meyer Rede im Rat zu Münster am 20. 3. 2002
Einbringung des Bürgerbegehrens "Pro Stadtwerke"


Verehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Ratsmitglieder, meine Damen und Herren!

Ich darf hier vor dem Rat des Stadt Münster - auch im Namen von Frau Thüns - als einer der beiden Sprecher unser Bürgerbegehren "Pro Stadtwerke in kommunaler Trägerschaft" begründen. 14.798 oder mehr als 7 % der Wahlberechtigten unserer Stadt haben per Unterschrift Sie aufgefordert, den Ratsbeschluss zum Teilverkauf des Stadtwerke nicht umzusetzen. Sie alle und noch viele mehr sind der Überzeugung: Die sichere Versorgung mit Strom, Gas und Wasser sowie der städtische Nahverkehr sind genuine kommunale Aufgaben und dürfen nicht rein privaten Gewinninteressen ausgeliefert werden; die Zugänglichkeit zu den unverzichtbaren Lebensmöglichkeiten Wärme und Licht, das Lebenselement Wasser: sie müssen für jede und jeden gewährleistet bleiben und deshalb wie seit 100 Jahren von uns allen demokratisch verantwortet werden.

Ich wende mich besonders an Sie von der Christlich-Demokratischen Union. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie alle glücklich sind mit Ihrem Verkaufsbeschluss. Leichten Herzens werden Sie doch kaum das veräußern wollen, was Ihre Väter und Mütter in Generationen aufgebaut haben? Es heißt zu Recht: " Was du ererbt von deinen Vätern - erwirb es, um es zu besitzen. " Ich kann ihnen nur sagen: Viele Bürgerinnen und Bürger, gerade auch Ihnen sonst nahe Stehende, verstehen das nicht!

Im Grußwort zur Stadtwerke-Ausstellung zum 100. Jubiläum 2001 im Stadtmuseum schreiben die beiden heutigen Geschäftsführer, daß um 1900 die zunächst privaten Unternehmen kommunalisiert wurden, "um stärkeren Einfluß auf Ausbau und Angebot zu haben. Die Daseinsvorsorge als Basis der Entwicklung von Städten war zu einer wichtigen Angelegenheit der Kommune geworden. Dies hat sich bis heute bewährt. " - Wie gesagt: Zitate von Dr.Ohlms und Dr. Spickenheuer - und nicht aus unserem Flugblatt!
"Bis heute bewährt?!" - Was hat den plötzlichen Meinungswechsel bei Ihnen ausgelöst?

Ich höre und lese immer wieder zwei Gründe:

1. Wir müßten verkaufen, um den Haushalt zu sanieren.

2. Wir müßten verkaufen, weil Stadtwerke alleine auf dem globalisierten Wettbewerbsmarkt untergehen würden.

Ich halte beide Argumente für nicht stichhaltig, und will das begründen.

Zu 1.), die desolate Haushaltslage: Es ist richtig, die Kommunen haben alle, auch Münster, unter wegbrechenden Einnahmen zu leiden. Allein bei der Gewerbesteuer fehlen hier jährlich über 100 Millionen DM. Doch wäre dagegen ein schneller Verkauf die richtige Lösung? Verkaufen kann man nur einmal, und was ist in fünf Jahren? Nein, wir brauchen eine sichere Finanzierung unserer Kommunen, damit wir eine lebenswerte Stadt behalten, auch mit sozialer Sicherheit. Dafür sind die Bürgerinnen und Bürger bereit, ihre Steuern zu zahlen. - Ich kann nicht verstehen, wie unsere Bundes- und Landespolitiker die großen Konzerne entlasten und immer weiter entlasten, damit diese dann in Finanzgeschäfte weltweit einsteigen oder unsere Stadtwerke aufkaufen! - und hier in der Stadt fehlt das Geld an allen Ecken und Enden! Deutschland ist in Europa zu einem Steuerdumpingland geworden, zu einer Steueroase, einer Art "Offshorezentrum" für Kapitalgesellschaften! - Verbünden Sie sich mit dem Deutschen Städtetag und verlangen die Rückgängigmachung der skandalösen Gewerbe- und Körperschaftssteuergeschenke an die großen Kapitalgesellschaften. Dafür hätten Sie sofort die Unterstützung von ihren Wählerinnen und Wählern!

Der heutige CDU-Wirtschaftssenator in Hamburg sagt - zwei Jahre nach der Privatisierung des Strom-, Gas- und Wassernetzes: "Die Stadt Hamburg (damals unter SPD-Regierung!) hat vor dem Hintergrund einer desolaten Haushaltslage schlicht aus Kasseninteressen verkauft. " Und das war falsch: Die HEW (waren) ein Unternehmen, mit sprudelnden Gewinnen, das Steuern in die Hamburger Haushaltskasse spülte. (Diese Einnahmen) "werden ... erst einmal ausbleiben. " (vgl. Hamburger Abendblatt 9. 3. 2002)

Verkaufen rechnet sich auch kurzfristig nicht: Sie erwarten 400 Mill. DM, wollen da von 300 Mill. in die Schuldentilgung stecken. Das wären Zinsersparnisse von 15 Millionen DM. Aber Sie müssen das Defizit der Verkehrsbetriebe von 30 Millionen allein ausgleichen haben aber nur noch den halben Anteil bei der Gewinnausschüttung. Außerdem werden die Gewerbesteuern der Stadtwerke in Zukunft vom strategischen Partner wohl gegen Null gerechnet. Auch bei den Konzessionsabgaben müssen Sie mit Abschlägen rechnen. In Ihrem Papier schreiben Sie zu diesem Problem: "Es ist anzustreben,... Konzessionsabgaben und Gewerbesteuer zu erhalten. " Anstreben können Sie viel, aber was Sie erreichen, wird eine andere Sache sein.

Nein, meine Damen und Herren von der CDU, rechnen Sie selber nach: Durch den Verkauf würden ihnen mindestens 15 Millionen DM jährlich fehlen, wahrscheinlich 25 Millionen, die Zinsersparnis schon gegengerechnet. Bei Nichtverkauf stünde der volle Gewinn der Stadtwerke zur Verfügung, sowie Gewerbesteuern und Konzessionsabgaben in bisheriger Höhe. Mit der Hälfte dieser Einnahmen und den zweckbestimmten Zuweisungen des Landes könnten sie die Schulen sanieren, Jahr für Jahr, und nicht nur ein Strohfeuer für ein zwei Jahre entfachen!

Zum 2. Argument: Sie schreiben: " Wenn es nicht gelingt, die strategische Partnerschaft mit einem starken Partner einzugehen, werden unsere Stadtwerke im sich verschärfenden europäischen Wettbewerb untergehen. " (Flugblatt der CDU) Das hört sich nach Erpressung an. Erpressung - durch wen? Durch Wettbewerb? Das kann nicht sein, denn bisher bestehen ja die Stadtwerke auf dem schon existierenden Strommarkt ganz gut. Nein, Sie fürchten die Aufteilung des Marktes unter die vier großen Energiekonzerne RWE, e.on, Valtenfall oder EnBW-Energie, Sie fürchten also Erpressung durch die "starken Partner" und wollen sich mit dem Angreifer verbünden. Aber wir sind doch kein Kaninchen, das aus Angst vor der Schlange erstarrt und sich nur schlucken lassen kann! Denn selbst wenn es dazu käme, daß es der Kartellbehörde nicht gelänge, für einen weiter funktionierenden Wettbewerb auf dem Strommarkt zu sorgen: Müßten dann selbständige Stadtwerke untergehen? Keineswegs. Denn Stadtwerke besitzen etwas, was die Strom- und Gasriesen nicht von sich aus besitzen können. Stadtwerke besitzen das örtliche Verteilernetz sowie das Zähler- und damit das Abrechnungsnetz bis in jeden Haushalt sowie das Vertrauen von uns Bürgerinnen und Bürgern! Und für Netz und Zähler kann es gar keinen Wettbewerb geben, sie sind nur einmal vorhanden! Das scheint mir überhaupt der blinde Fleck in ihren Privatisierungsplänen zu sein: Sie wollen etwas privatisieren, was man gar nicht privatisieren darf, weil es seiner Substanz nach ein öffentliches Gut ist. Es ist nämlich nur einmal da, wie die Straßen oder die Wasserwege; eine Kommunikationsleistung der Gesamtgesellschaft. Das Verteilernetz für Strom, Gas und Wasser ist eine Schöpfung der Zivilisation: es gehört allen und darf niemanden ausschließen. Auch wenn in einer abgelegenen Straße nur drei Haushalte mit wenig Verbrauch an Wasser oder Strom liegen, haben sie Anspruch auf gesicherten Zugang, bei gleichen Gebühren.
Ich weiß, heute erhoffen sich viele das Heil von Privatisierung und mehr Markt. Aber Markt alleine ist nicht demokratisch, weil er ja unterschiedliche Stimmrechte vergibt an die Viel-Habenden und die Wenig-Habenden und die Nichts-Habenden ganz ausschließt. Markt ist kein Naturgesetz, Markt kann nur funktionieren, wenn er politisch gestaltet wird, und dazu gehört auch eine verlässliche, demokratisch verantwortete Infrastruktur. Sonst herrscht auf dem Markt der Wettbewerb der Mafia!

- Ich will jetzt nicht all die verheerenden Folgen aufzählen, die Desaster bei Privatisierungen aus England, Neuseeland, USA: Sie kennen sie. Sie sollten sie gerade als christliche Partei ernster nehmen als bislang.

- Waren Sie nicht einmal angetreten für eine demokratisch gestaltete Soziale Marktwirtschaft?

Ich will auf diesem Charakteristikum beharren: Hier soll ein Gemeingut privatisiert werden, das es nur einmal geben kann. Wie sollte es durch den europäischen Markt "untergehen"? Es sei denn. Sie geben es freiwillig in falsche Hände. Oder fürchten Sie, daß RWE oder e.on in unseren Straßen ein zweites, paralleles Netz aufbauen und dann unsere Stadtwerke mit Dumpingpreisen vom Durchleitungsmarkt verdrängen? Die Absurdität dieser Vorstellung spricht für sich.

- Wenn Sie das öffentliche Gut "Stadtwerke" an Energieerzeuger verkaufen, können Sie als nächstes gleich unser Straßennetz an VW oder Ford verkaufen. Die werden sicher garantieren, daß eine Weile auch noch andere Automarken hier fahren dürfen, allerdings zu erhöhten Gebühren.

Sie meinen, das sei Panikmache? Das Bundeskartellamt hat gerade vor kurzem 10 Stadtwerke wegen " missbräuchlich überhöhter Durchleitungsgebühren " abgemahnt hat (vgl. FR, 30. 1. 2002).

Die meisten dieser Stadtwerke mit 30 - 70 Prozent überhöhten Gebühren gehörten zu RWE oder e.on! Die Stadtwerke Münster waren nicht auf dieser Liste, was Sie, Herr Dr. Tillmann, ja befürchtet hatten. Wie auch? Notwendige Kosten für Ausbau und Pflege der Netze sowie eine angemessene Gewinnmarge führen nicht zu Beanstandungen. Damit ist hier aber auch kein Arbeitsplatz gefährdet - was soll das Angstmachen?

Bei Stadtwerken geht es um eine Einrichtung der Daseinsvorsorge für alle, die nur einmal vorhanden ist. Wenn Sie die Stadtwerke zur Hälfte einem "Strategischen Partner" übergeben, wird dieser "die Strategie" bestimmen; deswegen heißt er ja "strategischer Partner". Er will seine Produkte durchleiten und an uns verkaufen. Der Strategische Partner wird die Preise gestalten und die Qualität der Leistungen nach seinen Interessen gestalten, auch die Qualität und den Ort der Arbeitsplätze - da können Sie noch so viel von "Arbeitsplatzgarantie" oder "keine betriebsbedingten Kündigungen" reden - der Betrieb ist ja nun ein international agierender Konzern mit vielen Standorten und einer Zentrale in Essen oder München. Und wie der Konzern morgen neu strukturiert wird, wissen Sie nicht. Was dann Ihre Vereinbarungen noch wert sind, bestimmen nicht Sie, sondern der sich anders strukturierende Kapitalmarkt.
Gucken Sie nach Hamburg: Die HEW wurden vor zwei Jahren an Vattenfall verkauft die sich zwischenzeitlich in eine Holding umgewandelt haben - mit nur noch einer Zentrale in Berlin und entsprechenden Ausgliederungen ganzer Bereiche aus Hamburg. Das sah bei Vertragsabschluß vor zwei Jahren völlig anders aus. Die Belegschaft droht jetzt mit Streik. Alle Garantien sind hinfällig.

Der neue CDU- Wirtschaftssenator sagt: "Der NEW-Verkauf durch die frühere Hamburger Regierung (SPD!!) war ein großer standortpolitischer Fehler. " (Hamburger Abendblatt, 9.3.02)

Inzwischen warnt sogar der oberste deutsche Wettbewerbshüters vor der Strategie der Stromriesen, sich verstärkt an Stadtwerken zu beteiligen. Er fürchtet um das Funktionieren des Marktes: "Wir betrachten die mit hohem Tempo fortschreitende Beteiligung an Regionalversorgern und Stadtwerken unverändert kritisch. " ! (vgl. DIE WELT, l. 2. 02)

Es ist doch eigentlich ganz einfach: erst mit der Übergabe des Leitungsnetzes zum Endverbraucher geben Sie einem Strom-, Gas und Wasserriesen die Möglichkeit, sein Monopol komplett aufzubauen. Nur deswegen bietet er auch überhöhte Preise. Der angeblich von Ihnen so sehr angestrebte Wettbewerb wird abgeschafft, wenn ein Konzern Energieerzeugung, nationale und internationale Verteilernetze und nun auch noch die Netze bis zum Endverbraucher in die Hand bekommt. Damit würde auch das Prinzip der Subsidiarität auf den Kopf gestellt: Die kleinere Einheit = die Kommune würde der größeren Einheit = dem international agierenden Konzern übergeben.

So meine ich, daß Ihre Gründe zum Teilverkauf unserer Stadtwerke nicht zu halten sind. Deshalb unser Appell: Rücken Sie ab von den verhängnisvollen Verkaufsabsichten. Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Der Rat einer Stadt wie Münster hat bessere Karten als Sie bisher glaubten. Greifen Sie deshalb auch nicht nach der verlockenden, schnellen Haushaltssanierung: Der Preis wäre zu hoch. - Denken Sie an die Figur des Esau aus der Bibel. Er war der ältere Sohn seines Vaters Isaak. Als sein jüngerer Bruder Jakob einmal sein Lieblingsgericht aus Linsen gekocht hatte, wollte Esau unbedingt sofort davon essen, das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Jakob gab ihm von der Speise, indem er ihm dafür sein Erstgeburtsrecht abhandelte. Die großen Konzerne wollen uns heute unser kommunales Erstgeburtsrecht an den Stadtwerken für das Linsengericht kurzfristiger Haushaltssanierung abhandeln. Seien Sie klüger als Esau: Verkaufen Sie nicht unser Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht!


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